Daghild BARTELS – Philippe Grosclaude, 1994

Daghild BARTELS

Philippe Grosclaude

Der Genfer Künstler Philippe Grosclaude (Jahrgang 1942) zählt, obgleich einer der Stillen im Lande, zu den wichtigsten zeitgenoßischen Künstlern der Calvin-Stadt. Selbsternannter Außenseiter der Kunstszene, der beharrlich seinen Weg verfolgt, blieb er dem Tafelbild treu, das er meist in vertikalen Formaten präsentiert. Es sind Bilder, auf denen sich turbulente, gestische Farbstrudel ausbreiten, bei dominanten Blaugrautönen, die mitunter mit kräftigem Ocker bis Orange angereichert werden. Zwei konstante Leitmotive konturieren sich aus den bewegten Farbfeldern heraus: ein menschliches, maskenhaftes Gesicht mit blindem Blick und ein Stern, der häufig wie eine Sternschnuppe durch die Szene geistert. Beide Motive sind poetische Metaphern für Grosclaudes Lebensphilosophie. Er sieht den Menschen als leidende, aber dennoch selbstbewußte Kreatur, umfangen von der «unerträglichen Schwere des Seins». Daß sich diese Kreatur gleichwohl triumphierend aus den Farbturbulenzen erhebt, macht sozusagen das Prinzip Hoffnung aus. Der Stern, der das menschliche Wesen leitet, symbolisiert die Möglichkeiten von Konfrontationen und Explosionen (z. B. unterdrückten Leidenschaften). Das Bild gerät so zu einem Kraftespiel unterschiedlicher Spannungen, die freilich durch die Energie der Komposition sublimiert werden. Besonderheit der «Malerei» Grosclaudes: Seit 1976/77 verwendet er eine Technik, die ihm allein gehort. Er «malt» ausschließlich in Pastell, füllt die Leinwand bis auf den letzten Quadratmillimeter mit energischen Pastellstricheleien, die in bis zu [20] Schichten übereinandergelagert werden. Die Pastelltechnik wird somit gegen ihre eigentliche Natur, gegen den Strich eingesetzt. Statt transparenter Leichtigkeit sind hier vielschichtig strukturierte und kompakte Farbflachen das Resultat, dem man freilich noch die multiplen Übermalungen ansieht. Mit Ölmalerei wäre dieser Prozeß der permanenten Übermalungen nicht möglich; er müßte zu lange warten, bis eine Schicht trocken ist, sagt Grosclaude. So kommen Technik und Methode seinem Denken, das auf Ausdauer angelegt ist, zugute. Neuerdings benutzt Grosclaude das Pastell auch in flüßiger Form. Er löst die Substanz auf und spritzt sie nach Art der abstrakten Expreßionisten auf die Leinwand, so daß auf den jüngsten Werken wolkige, informelle Gebilde mit den kompakten Strichelfeldern kontrastieren.

Couple, 1992

Couple, 1992
pastel, crayon gras et mine de plomb sur papier
140 x 100cm

Daghild Bartels – Artis, juin-juillet 1994

In der Genfer Galerie Anton Meier präsentierte Grosclaude in vorzüglicher Inszenierung seine neuesten Arbeiten. Ein exquisiter Prachtband (erschienen im ABC-Verlag, Zürich, Vorzugsausgabe mit Originalzeichnung) gibt eine komplette Darstellung, begleitet von exzellenten Interpretationen von Grosclaudes Œuvre, und eine Monographie, die den Genfer in eine Reihe mit großen Schweizer Künstlern stellt (z. B. Max Bill, Meret Oppenheim) und ihn auch in der Deutschen Schweiz bekannter machen dürfte, denn sie ist zweisprachig.

1994 - D. Bartels