25 Juil Pirmin MEIER – Tafeln des Kampfes, 1985
Pirmin MEIER
Tafeln des Kampfes
Die grossflächigen Pastellbilder von Philippe Grosclaude vermögen – mit einer unüblichen Technik – Gesichter und traumhafte Urbilder umzusetzen.

Philippe Grosclaude, geboren 1942, gehört zu den eingesessenen Vertretern der Genfer Kunstszene, die national wie auch international beachtliches Ansehen erworben haben. Seit schon rund zwanzig Jahren hat er jenseits des modischen Gegensatzes « figürlich » – « abstrakt » seinen eigenen Stil hartnackig durchgehalten. Recht auffallend ist auch seine für einen Genfer Künstler wohl doch bemerkenswerte Ortstreue: Geboren und aufgewachsen in der Rhonestadt, absolvierte er diedortige Kunstakademie und lebt und arbeitet auch heute noch in Genf.
Dabei wurde er schon früh auch ausserhalb der Westschweiz beachtet. In der Deutschschweiz präsentierte die Galerie ABC, Winterthur, schon 1967 eine erste Einzelausstellung. 1965 und 1967 war er bereits Träger des Eidgenössischen Kunststipendiums, das ihm 1981 abermals zugesprochen wurde’. Vertreten war er sodann in der grossen internationalen und repräsentativen Ausstellung « Die Schweizer Zeichnung 1970-1980», die in sechs Ländern gezeigt wurde. In Zürich waren seine Werke schon mehrfach zu sehen, zuletzt 1983 in der Städtischen Galerie zum Strauhof im Rahmen der Ausstellung « Sechs Künstler aus Genf».
Gegenwärtig ist das neueste Schaffen Grosclaudes in der Zürcher Galerie Jörg Stummer ausgestellt. Es handelt sich um die seit Jahren erste und gewiss gewichtigste Einzelausstellung des Genfers in der Deutschschweiz. Die Ausstellung bedeutet zugleich einen repräsentativen Markstein in seinem nunmehr zwanzigjährigen, höchst eigenwilligen und bemerkenswert kontinuierlichen Schaffen.
Eine « Jahresernte »
« Bilder des Jahres 1984 » lautet der einfache Titel der Ausstellung, wobei keineswegs etwa auf das Orwell-Jahr angespielt wird. Das Motto entspricht vielmehr der beständig wortkargen Art des Künstlers, der schon seit eh und je seine Werke mit dem Vermerk « Sans titre» (ohne Titel) auszustellen pflegt. In wohltuender Weise verzichtet Grosclaude darauf, seine Kunst mit intellektuellem Blabla zu garnieren.
Sein Arbeiten, das sehr berechnet und langsam erfolgt, wobei die einzelnen Bilder in deutlicher Nachfolge zueinander stehen, ist weit mehr der Starke des künstlerischen Gestaltungswillens als dem « Vielproduzieren » verpflichtet. Der ausgestellte Ertrag des Jahres 1984, die « Jahresernte » sozusagen, umfasst denn auch «nur» rund zwanzig Werke, wozu noch ein Album mit fünf Grafiken und einem Text des Westschweizer Schriftstellers Georges Haldas, «Dédale de la mort», kommt.

Vielfach hat der Betrachter den Eindruck, als male der Künstler immer das gleiche Bild unter neuen Gesichtspunkten. Die Anordnung der grossformatigen Pastellgemälde ist so, dass sie in mehreren Fallen in Dreiergruppen zur stärksten Wirkung kommen, sowohl was den, raumgestaltenden Charakter, als auch was das Besinnlich-Nachdenkliche betrifft, das den Bildern Grosclaudes in hohem Masse eigen ist.
Für den Betrachter erweist sich die Gestaltung des menschlichen Gesichts als Einstieg in Grosclaudes Hauptthema «l’homme dans sa condition». Köpfe, Gesichter, Masken, manchmal archaisch, manchmal negroid, gelegentlich gespenstischbizarr, immer aber überaus phantastisch, durchziehen leitimotivisch die «Tableaux», die dennoch hauptsachlich vom Farbauftrag, von der Farbwirkung leben.

Karnpf um die Farbe
Der Kampf um die Farbe ist bei den einzelnen Pastellbildern vielfach noch sichtbar. Zahlreiche Ölkreideschichten sind auf das Grundmaterial aufgetragen, und der Künstler geht bei seiner Arbeit nicht selten an die Grenze dessen, was Papier aushält. Vom Ölbild auf Leinwand hat er sich schon vor Jahren verabschiedet, um desto besessener mit der Pastellkreide zu arbeiten. Schicht um Schicht auftragend, erzielt Grosclaude die farbliche Wirkung des im antiken Sinne Elementaren (Erde, Wasser, Feuer, Luft).

Auffallend ist, dass Grosclaudes Verhältnis zu den Farben keineswegs «popig» ist, sondern im erdhaften Braun und Rötlichbraun sowie vor allem in seinen Blautönen einen Naturbezug verrät, der Distanz von Modeströmungen markiert.
Die Gesamtwirkung der Bilder ist kraftvoll, von der Farbkomposition her nicht selten kämpferisch-dynamisch. lm neben dem menschlichen Gesicht ebenfalls häufigen Sternmotiv wird ebenfalls der für Grosclaude typische polare Gegensatz « Implosion – Explosion» deutlich. Grosclaude malte 1984 Tafeln des Kampfes, die auf den einen vergangenheitsbezogen und mythologisch, auf den andern zukunftsweisend und utopisch wirken mögen. Und in seiner Darstellung des menschlichen Gesichts, das in den besten Gemälden geradezu plastisch wirkt, spielt immer auch die Magie des Todes hinein, nie aber der Hohn, die Fratze, die Karikatur.
Der Genfer Maler schafft eine bewegende, fast dramatische menschliche Kunst, die den farbhungrigen Betrachter in ihren Bann zieht.

Von Pirmin Meier
Exposition Galerie Jorg Stummer, Zürich, Januar – 2. März 1985